Karl Hofer (1878-1955)

Restaurierung von 35 Kunstwerken des Künstlers

Die Restaurierungsarbeiten fanden ab Dezember 2007 bis Juni 2010 statt.

Kunsthandel 02/2015

Text: Dr. Ulla Fölsing

Restaurierung – behutsamer Umgang mit den Originalen

„Kunst ist schön, aber macht viel Arbeit,“ witzelte Karl Valentin. Besonders wenn sie in die Jahre kommt, muss man hinzufügen. Kaum jemand weiß das besser als Ludmila Henseler, die seit 1987 ein selbständiges Restaurierungsatelier für Altäre, Gemälde, Tafelbilder und Holzplastiken (www.art-restauro.de) betreibt. Zwischen Dezember 2007 und Juli 2010 widmete sich die Diplom-Restauratorin der Mammut-Aufgabe, 35 Kunstwerke des deutschen Expressionisten Karl Hofer (1878-1955) naturwissenschaftlich zu untersuchen und eingehend zu restaurieren.

Keine leichte Aufgabe: Karl Christian Ludwig Hofer, der später mit „Carl Hofer“ signierte, gilt als eigenwilliger, provokanter Maler mit einer Biografie voller Brüche und Schicksalsschläge. Der Einzelgänger, der ganz eigene figürliche Kompositionen von delikater Farbigkeit schuf, musste sich am Ende seiner Karriere gegen den Ruf von Rückständigkeit wehren. Er hielt beharrlich an der figurativen Malerei fest, während andere Künstler in der Nachkriegszeit zunehmend abstrakt malten.

Improvisierte Objekte

Seine jetzt von Frau Henseler restaurierten Werke entstanden zwischen 1923 und 1955. Sie gehören in die Sammlung der EWE AG, eines großen norddeutschen Energie- und telekomunikationsdienstleisters. Das Unternehmen hat sein Konvolut von Karl Hofer-Gemälden unlängst durch eine Reihe von Spätwerken aus dem Bestand eines Oldenburger Nachlassverwalters ergänzt. Die kunsthistorische Expertise zeigte, dass der Zahn der Zeit nicht spurlos daran vorbei gegangen war. Verschärft wurde die Lage durch den Umstand, dass Karl Hofer in der Mangelsituation der Nachkriegszeit keine qualitativ hochwertigen Arbeitsmaterialien verwenden konnte.

Ludmila Henseler war denn auch verblüfft über das Maß an Improvisation, das sie bei den Objekten von Hofer sah: „Genommen wurde, was gerade da war,“ so ihr Eindruck. „Speziell die Keilrahmen waren oft schnell zusammengefügt, die Leinwand rasch aufgespannt, häufig schief.“ Hofer habe dann meist versucht, die Leinwand nachzuspannen, z.B. bei dem Gemälde „Jüngling, männlicher Akt“ (1943), wo offenbar bis zu sechs Keile in den Ecken des Keilrahmens saßen. „Mit der Zeit lösten sich die Ecken, und Keile gingen verloren. Die Folge war eine locker aufgespannte Leinwand, auf der sich Verwerfungen, Beulen und Krakelee bildeten. Die Deformationen des Leinwandträgers ließen schließlich an den betreffenden Stellen die Farb- und Malschicht abplatzen.“

Keilrahmen authentisch belassen

Auch beim Gemälde „Evokation“ (1951) hatte Hofer den Keilrahmen selbst gebaut und rechts an der Längsseite teilweise mit einem zersägten Frühstücksbrett als Verbindungsleiste vergrößert. „An dem Frühstücksbrett sind bis heute die Benutzungsspuren zu sehen – zahlreiche Messerschnitte und Fettflecken,“ so Frau Henseler. Durch diesen provisorisch gebauten Keilrahmen bildeten sich quer verlaufende Spanngirlanden in der Leinwand. Die Restauratorin schaffte es, den originellen Keilrahmen authentisch zu belassen: Mit einer Stützleiste an den Schwachstellen richtete sie die alten und neuen Keile so aus, dass sich die Leinwand optimal aufspannen ließ.

Nicht nur bei Hofers Leinwandtexturen und bei seinen Keilrahmen stand Ludmila Henseler oft vor schwierigen handwerklichen Aufgaben. Als diffizil erwies sich auch seine künstlerische Handschrift. Anhand der 35 ihr anvertrauten Gemälde lernte sie den Maler als „unruhige, aber produktive Künstlerseele“ kennen. Sie stellte fest: „Er hat seine Bilder oft korrigiert, übermalt, abgelehnt, manchmal sogar zerstört und danach wieder neu gemalt, sodass von seinen Werken häufig mehrere Fassungen existieren.“ Karl Hofers wechselvollen Malstil sieht Henseler nicht zuletzt geprägt von dessen dramatischen privaten Lebensumständen und zeitlebens schwierigen äußeren Bedingungen um die Jahrhundertwende, in den beiden Weltkriegen und dem ideologischen Bilderstreit danach bis zu seinem Tod im Jahre 1955.

Fehlende Keile und Risse in der Malschicht

Für maltechnologische Untersuchungen zog Frau Henseler das Schramm’sche Labor für naturwissenschaftliche Kunstgutuntersuchungen in Dresden zu Rate. Die mikrochemischen Analysen einzelner Proben zeigten, dass Hofer keine reinen Ölbindemittel verwendete, sondern überwiegend mit fettem Öl und Temperasystemen arbeitete. Seine am häufigsten verwendeten, damals teuren Pigmente waren Kadmiumgelb mittel, Kadmiumrot mittel, Kobaltblau dunkel, Chromoxydgrün feurig, Zinkweiß, Elfenbeinschwarz und einige Erdpigmente. Gefirnisst hat Karl Hofer seine Bilder nicht. Durch das Temperasystem oder durch Wachszugabe blieben die Oberflächen matt im Wechselspiel mit glänzenden Partien, an denen er mehr Öl benutzte. Dieser reizvolle Kontrast erhöhte die visuelle Leichtigkeit und haptische Plastizität von Hofers Bildern, die in brillanten, lebendigen Farben leuchten.

 

Ludmila Henselers sorgsame Restaurierungsprotokolle machen implizit die zeitliche Entwicklung von Karl Hofers Arbeitstechnik und Motivwahl deutlich. Vor allem aber zeigen die Berichte, mit wie viel behutsamen, genau aufeinander abgestimmten Einzelschritten sich die Restauratorin ihren Objekten bei der Sanierung näherte. Hier zwei Beispiele aus unterschiedlichen Schaffensperioden. Das erste Bild stammt aus der mittleren Epoche: „Landschaft mit Rundzelt“, eine stille, leicht düstere Straßen-Szene rund um ein weißes Zelt, wurde 1923 in fettem Öl und Tempera gemalt. Der Pinselduktus der trocken aufgetragenen Farbformen und die einzelnen Farbschichten verraten eine schnelle, spontane, mehrschichtige und gut überlegte Malweise. Doch das Gemälde kam in recht prekärem Zustand, befestigt in einem sekundären Schmuckrahmen, zum Rasteder Restaurierungsatelier. Der originale Keilrahmen war nicht nur destabilisiert und schief. In den Ecken fehlten auch vier Keile. Dadurch war die Leinwand verzogen und in der Quere gespannt, was zu schüsselförmigen horizontalen Deformierungen, breitem Krakelee und Rissen in der gesamten Malschicht führte. An der Oberfläche ließ sich zudem ein später von fremder Hand aufgetragener, sekundärer, dünner Firnis auf Acrylbasis ausmachen, der nicht vergilbt war.

Restaurierung in zehn Schritten

Um das Bild zu therapieren, brauchte es viele Arbeitsabfolgen. Frau Henseler rahmte zunächst das Gemälde aus, festigte die locker abstehende, schüsselförmige Malschicht und reinigte Vorder- und Rückseite trocken. Dann folgte eine chemische Oberflächenreinigung, bei der der sekundär aufgetragene Firnis gedünnt wurde. Danach wurden die Deformierungen geglättet sowie fehlende bzw. ausgefranste Leinwandränder stabilisiert und mit Hilfe von neuen Keilen die Leinwand wieder gespannt. Nachdem störendes Krakelee behutsam retuschiert worden war, konnte schließlich das restaurierte Gemälde in einen neu gestalteten Schmuckrahmen eingefügt werden, um wieder in beachtlicher Frische zu strahlen.

Drei Jahrzehnte nach seiner „Landschaft mit Rundzelt“ hatte Hofer die ausladende Szene „Schießbude“ gemalt, ebenfalls in fettem Öl und Tempera auf Leinwand. In seiner Anmutung allerdings wirkt das 1953 entstandene Bild grundverschieden. Mit zwei unbeschwerten und einer Reihe dramatischer Figuren, dazu Schießgewehren, Zielobjekten sowie einem brennenden Haus und weißen Tauben in der Luft visualisiert das Gemälde Hofers beunruhigte Sicht auf die Mitte der 1950er Jahre als schwierige Balance zwischen Krieg und Frieden. In zehn behutsamen Einzelschritten sanierte Frau Henseler auch dieses eine Generation jüngere Bild ähnlich wie die „Landschaft mit Rundzelt“: Nach dem Ausrahmen, Festigen der lockeren Malschicht und Reinigen wurde geglättet, nachgespannt und retuschiert, zuvor an einigen Fehlstellen gekittet. Ein neuer Rahmen war nicht nötig, weil der ursprüngliche Schmuckrahmen restauriert werden konnte.

Ludmila Henseler, 1963 in Presov in der Ost-Slowakei geboren und lange in Prag ansässig, hat ihre Profession gründlich gelernt. Nach dem Besuch der Kunstschule im slowakischen Kosice studierte sie an der Dresdener Hochschule für bildende Künste sechs Jahre lang Restaurierung. 1987 machte sie ihr Diplom. Ihre Abschluss-Arbeit befasste sich mit der Entölung, Konservierung und Restaurierung einer spätgotischen Holzfigur. Dabei gelang es ihr, eine neue Methode zur Extrahierung von Tränkungsmitteln zu entwickeln.

Nach dem Examen gründete die frisch gebackene Diplom-Restauratorin ihre erste eigene Werkstatt an ihrem Heimatort in Presov. 1993 ging sie in den Westen und arbeitete in Porta Westfalica bei Bielefeld weiter. Im Jahre 2002 hat sie ihr Atelier nach Rastede bei Oldenburg verlegt. Dort beschäftigt sie zwei Mitarbeiterinnen. Inzwischen konnte sie Hunderte von Projekten bewältigen. Dabei hat sie unermüdlich mit modernsten Methoden Gemälde und Altäre, Tafelbilder und Holzplastiken aus öffentlichem und Privatbesitz erfasst, untersucht, geschätzt und dokumentiert, konserviert und restauriert. Und das nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im Ausland wie zuletzt 2011 wertvolle altmeisterliche Objekte in der Prager Nationalgalerie.

Die Liste von Ludmila Henselers Referenzen ist lang. Die fachgerechte Aufarbeitung der gotischen Wandmalerei „Das letzte Gericht“ im Rathaus von Bardejov hat ihr eine Goldene UNESCO-Medaille eingetragen. Frau Henseler selbst denkt besonders gern an ihre einjährige Arbeit 1998 am Schnitz-Altar der Altstädter Nikolai-Kirche in Bielefeld zurück. Im nahen Eisbergen (Porta Westfalica) hat sie kürzlich zusammen mit zwei Fachkollegen einen weiteren großen Auftrag abgewickelt – die Restaurierung von Hauptaltar, Kanzel und Epitaph der dortigen Evangelischen Kirche. Eingeweiht wurde am 14. Dezember vergangenen Jahres, noch pünktlich vor Weihnachten.

Das liebste Werkzeug bei der Arbeit sind für die Restauratorin ihr Fotoapparat, das Skalpell, Aquarellfarben, weil deren Bindemittel verträglicher sind und die Töne nicht nachdunkeln, sowie allerlei Pinsel. „Ich liebe schöne Pinsel,“ strahlt sie. Ihr Beruf ist für die gebürtige Slowakin Passion und die eigene Zufriedenheit mit ihrem Arbeitsergebnis immer wieder Motor für neue Initiativen. Was sie tut, macht sie bedachtsam und gründlich. „Ein bisschen“ hat sie aus ihrem Sprachgebrauch gestrichen. Auch wenn es manchmal für sie selbst unökonomisch ausgeht, lautet ihre Devise: „Man darf nie an Zeit und Material sparen. So sind die veranschlagten Stunden für sie lediglich eine Orientierung: „Die Freude, in das Objekt einzutauchen, ist unbezahlbar. Restauratoren sind leidenschaftliche Idealisten,“ sagt sie.

Die 35 lädierten Werke von Karl Hofer jedenfalls haben nicht nur von ihren sensiblen Fingern, ihrem geschulten Auge und ihrem tiefen Respekt vor hochwertiger Kunst profitiert, sondern ebenso von ihrem nimmermüden Einsatz. Denn Kunst macht nicht nur viel Arbeit. Auch bei der Restaurierung kostet sie viel Zeit, Mühe und Geld, darf man Karl Valentin ergänzen. Welche Summe für die Gesundung der 35 Hofer-Werke in Rastede aufgewendet wurde, ist allerdings nicht bekannt.

Ulla Fölsing

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